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Leben in Köln

Zusammenhalt am Stadtrand

David Korsten-KölnerLeben Ausgabe 5/2017 · 08.03.2018

Wohlsortiert – so ist das Erscheinungsbild von Neubrück. Kein Wunder, der Stadtteil wurde 1965 am Stück „auf die grüne Wiese“ gesetzt. Foto: Volker Dennebier

Wohlsortiert – so ist das Erscheinungsbild von Neubrück. Kein Wunder, der Stadtteil wurde 1965 am Stück „auf die grüne Wiese“ gesetzt. Foto: Volker Dennebier

Rund 2.000 Menschen über 60 Jahre wohnen in Neubrück im Bezirk Kalk, oft schon seit vielen Jahren. Wer sich bei ihnen umhört, erfährt: Trotz aller Probleme ist das Leben im Veedel besser als sein Ruf.

Elisabeth Kleinermanns hält ein schmales weißes Gerät in der Hand. Es sieht aus wie eine Fernbedienung. Sie schwingt das Gerät energisch nach vorne. „Mensch, wieder nicht alle getroffen“, sagt die 79-Jährige mit gespieltem Ärger. Jetzt ist Liesel Koch (79) an der Reihe. Im „Treff im Pavillon“ in Neubrück kommen an diesem Donnerstagvormittag sechs Damen zum Bowlingspielen zusammen – allerdings nicht mit echten Kugeln und Pins, sondern mit einem Videospiel. Auf einem Fernsehschirm ist zu sehen, wie viele Kegel die Damen zu Fall gebracht haben.

Den „Treff im Pavillon“ haben das SeniorenNetzwerk, der Bürgerverein, die Stadtteilbibliothek und das Sozialraumprojekt gemeinsam ins Leben gerufen. Seit gut zehn Jahren ist er die zentrale Anlaufstelle im Veedel, in dem 9.000 Menschen leben. Der Stadtteil im Kölner Osten grenzt an Ostheim und Merheim. Etwa 2.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren wohnen hier, circa ein Drittel der Bewohner Neubrücks ist über 65 Jahre alt, viele von ihnen sind sogar älter als achtzig.

Welche Bedürfnisse die Senioren im Stadtteil haben, hat vor einigen Jahren die Initiative „GÄWIN – Gut älter werden in Neubrück“ zusammengetragen. Eines der Ergebnisse ist der Seniorenkalender. „Eine einfache, aber wertvolle Informationsquelle, die gut ankommt“, sagt Sylvia Schrage vom Bürgerverein Neubrück. Die Palette reicht von Gymnastik, Yoga und Pilates über Badminton, Volleyball und Schach bis hin zu verschiedenen selbstorganisierten Seniorengruppen. Einmal in der Woche erklären Jugendliche den Älteren, wie Handys und Tablets funktionieren. Manchmal ergibt sich daraus das nötige Vertrauen für die Taschengeldbörse, bei der die Jungen den Alten im Garten oder beim Einkaufen helfen.

Imageprobleme und Initiativen

Manch Neubrücker lebt bereits seit 1965 im Stadtteil, als die Siedlung aus dem Boden gestampft wurde, dort, wo sich zwischen 1937 und 1945 das Rollfeld des Fliegerhorstes Ostheim befand. Zum Bau kam es allerdings erst, nachdem sich der damalige Bundeskanzler und ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer dafür eingesetzt hatte. Seither hat sich viel verändert in der „Konrad-Adenauer-Siedlung“, wie der Stadtteil im Volksmund heißt: Inzwischen hat mehr als die Hälfte aller Neubrücker einen Migrationshintergrund, die Arbeitslosigkeit liegt mit mehr als 13 Prozent etwas über dem Kölner Durchschnitt. Doch hier kommt etwas in Bewegung. „Seit Mai gibt es im Treff ein niedrigschwelliges Beratungsangebot des Jobcenters“, sagt Andreas Hansmann, Sozialraumkoordinator für Neubrück von Veedel e. V. Zur nächsten Filiale müssten die Menschen sonst eine Dreiviertelstunde Anfahrt auf sich nehmen. „Für einfache Anfragen ist das eine hohe Hürde“, sagt Hansmann.


Teilnehmer des SeniorenNetzwerks Neubrück. Foto: David Korsten

Als weiteres Problem gilt bei vielen die Kriminalität. „Neubrück hat in dieser Hinsicht ein schlechtes Image“, sagt Sylvia Schrage vom Bürgerverein. Tatsächlich passiere hier aber nicht mehr als anderswo, sagt sie. Die Polizei versucht jedoch, das Sicherheitsgefühl insbesondere älterer Menschen zu verbessern. So gibt sie Senioren Tipps, wie sie sich davor schützen können, etwa während des Einkaufs Opfer von Diebstählen zu werden.

Die Nahversorgung sei sehr gut, sind sich die Damen beim Seniorentreff einig. „Apotheken und Ärzte haben wir direkt vor der Haustür“, sagt Helga Engels (71). Auch die Geschäfte des täglichen Bedarfs gibt es in der kleinen Fußgängerzone rund um die Kirche St. Adelheid. Allerdings wünschen sie sich zusätzlich zum Discounter einen weiteren Supermarkt, auch ein Metzger fehle. Schön sei der Markt einmal in der Woche. Unverständlich finden jedoch viele Anwohner, wieso sich bei der Umgestaltung des unattraktiven Markt- und Spielplatzes so wenig tut. Pläne und Konzepte dafür gibt es schon seit Längerem. Die in die Jahre gekommenen Spielgeräte etwa sollen erneuert werden, Grünflächen und Sitzgelegenheiten sollen hinzukommen, möglicherweise sogar ein Aufenthaltsraum für Jugendliche. „Wahrscheinlich geht es hier ab 2018 endlich los“, hofft Sozialraumkoordinator Andreas Hansmann.

Neubrück ist gewiss nicht „die fortschrittlichste Siedlung in ganz Deutschland, vielleicht sogar der ganzen Welt“, wie Adenauer 1965 bei der Grundsteinlegung hoffnungsfroh meinte. Dennoch steht für die Damenrunde beim Seniorentreff fest, dass sie in Neubrück wohnen bleiben möchten und dass es sich hier gut leben lässt. Das liege vor allem am tollen Zusammenhalt: „Wir sprechen über Trauriges, schimpfen auch mal. Aber meistens lachen wir zusammen“, sagt Elisabeth Kleinermanns und räumt beim Videospiel noch ein paar Kegel ab.

In dieser Serie stellt KölnerLeben je ein Veedel aus jedem der neun Stadtbezirke vor:

Riehl
Deutz
Lindweiler
Dünnwald
Godorf
Ehrenfeld

Neubrück in Zahlen

(in Klammern zum Vergleich immer kleinster und größter Wert in der Stadt Köln; Quelle: Stadt Köln, Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stand: 31.12.2015)

Fläche: 1,10 Quadratkilometer
(Mauenheim 0,49 / Eil 16,25)

davon Erholungsflächen: 10,4 Prozent
(Immendorf 0,9 / Höhenberg 43,3)

Einwohner: 8.816 insgesamt, je Quadratkilometer 8.032
(Roggendorf 299 / Neustadt-Süd 13.596)

Alter: 2.084 (23,6 Prozent) älter als 60 Jahre
(Ehrenfeld: 15,3 / Heimersdorf 34,5)

Alle für Senioren wichtigen Adressen sind erhältlich beim Beratungstelefon für Senioren: Tel. 0221 / 221-2 74 00

Tags: Stadtteile

Kategorien: Leben in Köln